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Definition
Als kokuji 国字 (Landesschriftzeichen) oder waji 和字/倭字 (Japanschriftzeichen) bezeichnet man i.d.R. Kanji, die nach chinesischem Vorbild in Japan entstanden sind und deshalb auch 和製漢字 wasei kanji (in Japan hergestellte Kanji) genannt werden.
Je nach Kontext bezeichnet kokuji auch
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die offiziell gebräuchliche Schrift – im engeren Sinne die Schriftzeichen – eines Landes
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die japanische Schrift im weitesten Sinne, d.h. die für das Japanische typische Mischung aus Kanji und Kana
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die rein japanischen Kana-Schriftzeichen (Hiragana und Katakana).
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Entstehung
Die kokuji in der eingangs angeführten Bedeutung entstanden aus dem Bedürfnis, japanische Begriffe, für die sich unter den Tausenden von aus China übernommenen Kanji kein geeignet erscheinendes Zeichen fand, mit selbst entwickelten Kanji wiederzugeben. Dabei wurden nach chinesischem Vorbild bereits bestehende Zeichen und Zeichenbestandteile zu neuen Zeichen zusammengefügt, so dass sich diese japanischen Neuschöpfungen in ihrem Erscheinungsbild nicht von den originär chinesischen Zeichen unterscheiden. Die Bildung dieser rein japanischen Kanji setzte vermutlich in der Nara-Zeit (8. Jahrhundert) ein, verstärkte sich im Mittelalter und reicht bis in die Neuzeit. Die Gesamtzahl der kokuji wird auf über 2600 geschätzt.
Da im Inselreich Japan Fischfang und Fischverzehr einen besonderen Stellenwert haben, verwundert es nicht, dass allein für Fischnamen und davon abgeleiteten Begriffen an die 200 neue Kanji mit 魚 , dem Radikal für „Fisch“, geschaffen wurden, wie z.B. 鯡 nishin (Hering). Auch der neuzeitliche Einfluss der westlichen Zivilisation förderte die Bildung neuer Schriftzeichen, weil damit fremde Objekte und Realitäten benannt werden konnten. So kombinierte man bei der Übernahme des westlichen Maßsystems beispielsweise das Zeichen 瓦 kawara (Ziegel), nachdem man ihm zusätzlich die Lesung und Bedeutung guramu (Gramm) gegeben hatte, mit den Zeichen für Zehn (十) und Tausend (千). Damit entstanden die völlig neuen, in China unbekannten Schriftzeichen 瓧 dekaguramu (Dekagramm) und 瓩 kiroguramu (Kilogramm). Neueren Ursprungs ist ebenfalls das Zeichen 囦 fuchi / EN für „Pool“, das sich im allgemeinen Schriftgebrauch jedoch nicht gegen das Katakana-Wort pūru プール durchsetzen konnte.
Lesungen
In den meisten Fällen besitzen kokuji nur eine japanische Kun-Lesung, da es in China kein Pendant gab, von dem man die Lesung hätte übernehmen können. Lediglich in einigen Fällen haben kokuji auch eine On-Lesung (働 „arbeiten, tätig sein“: Kun-Lesung hataraku, On-Lesung DŌ; 鮃 „Flunder, Scholle“: Kun-Lesung hirame, On-Lesungen HEI, BYŌ) oder aber nur eine On-Lesung, wie 鱇 KŌ („Seeteufel“) oder 鋲 BYŌ („Nagel, Niet, Stift“). Diese Zeichen waren zwischenzeitlich von Japan nach China übermittelt worden, wo sie eine chinesische Lautung erhielten (aber nicht zwingend in den Sprach- bzw. Schriftgebrauch übernommen wurden), die dann wiederum als On-Lesung für das betreffende Schriftzeichen zurück nach Japan gelangte. Wenn von diesen Zeichen im Laufe der Zeit die ursprüngliche Kun-Lesung außer Gebrauch kam und letztlich verloren ging, dann entstanden kokuji mit ausschließlicher On-Lesung.
Beispiele für kokuji
峠
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tōge
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Bergpass; im übertragenen Sinn: Höhepunkt; Krise (wörtlich: „den Berg hinauf und hinunter“)
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畑
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hata; hatake
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(Trocken-) Feld (wörtlich: „Feuerfeld“)
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噺
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hanashi
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Erzählung, Geschichte (wörtlich: „das Neue aus dem Mund“)
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毟
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mushiru
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(aus-, ab-) rupfen, abzupfen, herausreißen, herausziehen (wörtlich: „Haar/Fell/Federn kleiner/weniger machen“)
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躾
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shitsuke
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Erziehung, Zucht, Schulung; Manieren beibringen (wörtlich: „den Körper schön/lobenswert machen“)
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kokkunji
Neben den eigentlichen kokuji gibt es Zeichen, die in China der Form nach zwar existieren, in Japan aber mit einer anderen Bedeutung benutzt werden, so dass sie in einem chinesischen Kontext teilweise etwas ganz anderes aussagen als in einem japanischen Text. Sie vereinen in sich einerseits Merkmale der normalen, aus China übernommenen Kanji (Vorkommen in China und Japan, Verwendung mit On- und Kun-Lesung), andererseits der rein japanischen kokuji (spezifische, nur in Japan gültige Bedeutung). Ihre wissenschaftliche Zuordnung ist dadurch bis heute nicht endgültig geklärt, und man findet sie in der Literatur sowohl als kokuji als auch als normale Kanji klassifiziert. Mitunter werden sie als Zwischengruppe behandelt und als kokkunji 国訓字 bezeichnet, also als „Zeichen mit [spezieller] Landeslesung / Landesbedeutung“. Dieser Terminus ist allerdings nicht allzu sehr verbreitet.
Beispiele für kokkunji
沖
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CHŪ / oki
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Japan: hohe See, offenes Meer
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China: tief; leer, unnütz, vergeblich
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萩
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SHŪ / hagi
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Japan: Hagi-Strauch (Lespedeza bicolor)
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China: Beifuß (Asteraceae vulgaris)
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咄
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TOTSU / hanashi
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Japan: Erzählung, Geschichte
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China: Zurechtweisung, Schelte
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椿
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CHIN, CHUN / tsubaki
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Japan: Kamelie
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China: Vater; zeugen
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蜊
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RI / asari
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Japan: Asari-Muschel
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China: hemmen; zugeknöpfter Mensch
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Anmerkungen
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Mangels verlässlicher historischer Fakten lässt sich bislang keine eindeutige Aussage treffen, wann die chinesische Schrift erstmals nach Japan gelangte. Die Thesen schwanken zwischen dem 4. und 6. Jh. n. Chr. und orientieren sich an unterschiedlichen Ereignissen. Laut Kojiki (Kapitel 110, Abschnitt 8)* lernten die Japaner die chinesische Schrift kennen, als der Herrscher des koreanischen Reiches Baekje die Gelehrten Ajikgi (jap. Achiki, auch Ajiki) und Wangin (jap. Wani) an den Hof des japanischen Kaisers Ōjin sandte und ihnen u.a. zehn Bände konfuzianische Analekten sowie das 千字文 Qianziwen (jap. Senjimon) mitgab: ein chinesisches Gedichtwerk, das von jeher gern als Kanji-Lehrwerk benutzt wurde, da keines der insgesamt 1.000 (qian/sen) Schriftzeichen (zi/ji) zweimal Verwendung fand. Aber bis heute ist weder die genaue Regierungszeit von Ōjin geklärt (laut annalistischen Überlieferungen 270–310, neueren Forschungen zufolge aber vermutlich erst Ende 4./Anfang 5. Jh.), noch sind Zweifel ausgeräumt, ob das Qianziwen wirklich durch Ajikgi oder Wangin nach Japan gekommen sein kann, da seine Entstehungszeit eher auf das frühe 6. Jh. datiert wird. Belegt ist vorerst lediglich, dass man es in Japan in der viel späteren Heian-Zeit (8.–12. Jh.) kannte und nutzte.
* vgl. u.a. The Kojiki. Records of ancient matters. Transl. by Basil Hall Chamberlain, Tuttle 1982, S. 313 f.
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Stellvertretend für die – zumindest in Japan – recht umfangreiche Literatur zum Thema sei hier genannt Takashima Toshio: Kanji to nihonjin, Tōkyō: Bungei Shunjū, 2001 (6. Aufl.).
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August 2006, Astrid Brochlos / Wolfgang Hadamitzky |
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